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Warum Straßenbahnen vereiste Oberleitungen nicht mögen

Januar 22nd, 2013 · 8 Kommentare

– Dieser Text stellt meine persönliche Meinung und meinen persönlichen Kenntnisstand da und ist insbesondere ohne Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit –

Lichtbogen an LokomotiveEs ist mal wieder Winter – passiert ja ungefähr ein bis zwei mal im Jahr. Es kann dann passieren, dass es dann Eisregen gibt, ein Wetter, das man „Blitzeis“ getauft hat. Das ist für jegliche Eisenbahn, die mit Oberleitungen betrieben wird, extrem schlecht. Warum genau und wieso das für die Tram schlimmer ist, als für die „große Eisenbahn“ will ich mal versuchen für den interessierten Laien darzustellen. Das hier gesammelte Wissen habe ich durch Nachlesen, Nachfragen und viel Diskutieren im Frankfurter Nahverkehrsforum und mit der VGF, mit der Bahn und Twitterern. Sollte irgendetwas falsch oder unverständlich sein, bitte ein Hinweis :-)

WeichenheizungUnser Problem ist die vereiste Oberleitung. (Die Weichen haben eine Heizung, die normalerweise auch funktioniert ;-)). Das ist erstmal kein größeres Problem und passiert immer, wenn es unter 0°C hat und bspw. Nebel. Man erkennt es immer daran, dass die Stromabnehmer an den Oberleitungen toll flackern, so wie im ersten Bild. Warum? Das Eis ist ein enorm schlechter Leiter für elektrischen Strom. Die Spannung – sozusagen der „Wille der Elektronen die Eis-Barriere zu überwinden“ – reicht aber aus um einen Stromfluss herzustellen. Das Eis hat einen sehr großen Widerstand (es gilt: schlechter Leiter = großer Widerstand) und deswegen wird er selbst sehr warm. So warm, dass ein Lichtbogen brennt (genaugenommen handelt es sich um ein Plasma und die Luft brennt…aber nur am Rande) – dieser Lichtbogen brennt natürlich das Eis weg, der Stromabnehmer hat Kontakt, die Bahn fährt.

Problem Eisregen

Eis am ZaunGibt es nun aber Eisregen, wächst diese Eisschicht – einige haben es an Autos gesehen – auf eine Dicke von mehreren Millimetern bis zu Zentimetern. Das heißt: das schlecht leitende Eis leitet noch viel schlechter. Um diese Barriere zu überwinden braucht man nun eine höhere Spannung – und dann wird klar, warum die Eisenbahn noch fährt, die Tram aber nicht: bei der Eisenbahn verwendet man eine Spannung von 15kV = 15.000V, bei der Tram in Frankfurt und vielen anderen Orten der Welt nur eine von 600V. Je nach System sind auch 800V, selten bis 1.000V möglich. Das bedeutet, dass die Tram viel schlechter Strom bekommt, als die S-Bahn oder der ICE. Das macht sich gleich mehrfach bemerkbar.

Vereistes WartehäuschenWenn ich weniger Strom bekomme, bin ich langsamer – ich kann also stark vereiste Stellen viel langsamer überwinden und bleibe schneller stecken. Wenn die Bahn erstmal steht, haben wir ein Problem: da wo ich stehe, stehe ich, weil es keinen Strom mehr gab. Um an eine Stelle mit Strom zu kommen, brauche ich Strom – ich komme also nicht mehr vom Fleck. Zudem schadet jeder Lichtbogen massiv dem Material – die Stromabnehmer leiden enorm und können deswegen leicht brechen. Wenn an so einen Stromabnehmer nun ein Eiszapfen geschlagen wird, weil der an der Oberleitung hing, dann fliegt der auch mal weg. Zumindest in Bulgarien hab ich das schon erlebt.

Moderne Elektronik – eigentlich gut

Tram auf der BrückenstraßeEin zweites Problem – und das betrifft die Tram in Frankfurt ganz extrem – ist die Modernität der Fahrzeuge. Es klingt absurd, aber man „fährt die Strecken frei“ in dem man Museumsfahrzeuge durch die Stadt schickt. Warum denn nun das? Moderne Fahrzeuge haben viel Elektronik. Die gesamte Steuerung der Motoren ist elektronisch. Das ist eigentlich total super, denn so lassen sich extrem kleine Motoren bauen ohne die es keine Niederflurstraßenbahn gäbe. Außerdem kann ich die Motoren so bauen, dass sie sehr wenig Energie benötigen. Solche Motoren sind leiser und eigentlich ungefährt 360 Tage im Jahr super – nur wehe es gibt Probleme mit der Spannung. Das mag so eine Elektronik überhaupt nicht. Damit also nichts passiert, schaltet sich eine Elektronik von selbst aus, wenn die Spannungsversorgung gestört ist. Das kann man sich auch gut vorstellen: je größer der Lichtbogen an der Oberleitung, desto geringer die Spannung in der Straßenbahn – weil ja schon im Lichtbogen Spannung verloren geht (für Physiker: abfällt ;-)). Das ist auch eigentlich ziemilch gut, dass sie sich abschaltet: wenn an den 360 Tagen im Jahr die Spannung solche Sachen macht, ist vielleicht wirklich was kaputt und damit wird eine Beschädigung verhindert. Nur eben an den Tagen mit Eisregen ist das halt extrem unpraktisch.

Warum Museumsfahrzeuge?

Eingeeiste TramDie alten Fahrzeuge haben dieses Problem viel weniger. Hier ist der Motor einfacher angesteuert – vielleicht habt ihr es schonmal gesehen – hier muss gekurbelt werden. Das, an dem man kurbelt, ist der Fahrschalter. Wie der genau funktioniert hab ich leider auch noch nicht verstanden (erklärt es mir jemand? ;-)) – aber hier gibt es keine Elektronik. Wenn da Spannung und Strom ist, fährt das Ding. Je geringer die Spannung, desto langsamer – aber es fährt. Deswegen kann man an den schwierigen Stellen mit viel Eis langsam durchkommen, auch wenn die Stromversorgung mies ist. Und die alten Fahrzeuge haben einen weiteren Vorteil: man kann rückwärts fahren. Mit einer Tram rückwärts fahren ist an ebenden 360 Tagen im Jahr eine enorm blöde Idee – deswegen sperren die modernen Fahrzeuge auch elektronisch, wenn man versucht rückwärts zu fahren. Die Alten eben nicht – und so kann man ein paar Meter zurück und vor fahren, wenn eine Stelle sehr stark vereist oder die Schienen stark eingeschneit sind. Mit den modernen Fahrzeugen geht das zwar auch – aber hier muss man dann auf die andere Seite in den Fahrerstand laufen, den Schlüssel reinstecken, warten bis die Bahn betriebsbereit ist (die Elektronik will auch hochgefahren werden…) und dann 2 Meter fahren. Dann wieder auf die erste Seite…. – das dauert beliebig lange.

Warum fährt man nicht einfach alles frei und gut ist?

Eingeeiste TramEin weiteres Problem ist nach einiger Zeit nun die Batterie. Wie beim Auto vielleicht bekannt, mögen Batterien keine Kälte. Nun ist es wenn es Eisregen gibt meistens nicht 25°C – und so ist die Batterie auch extrem gefordert, sie ist irgendwann leer. Und dann kann ich mit dem Fahrzeug gar nicht mehr fahren. Die Tram steht also auf der Straße, der Fahrer kann nicht vor und zurück und es ist keine Abhilfe in Sicht. Damit in der Zeit nicht irgendwann durch den schlechten Kontakt des Stromabnehmers die Gefahr besteht, dass irgendwas anfängt zu schmoren, macht man den Stromabnehmer runter und lässt die Bahn stehen. Und dann steht sie erstmal da.

Auch mit den Museumsfahrzeugen kann man ja nicht dran vorbei und so müssen die modernen Fahrzeuge abgeschleppt werden. Das hat die VGF auch gemacht – mit den Museumsfahrzeugen – und das hat fast den ganzen Montag gedauert. Jetzt stehen die – ich glaube 43 waren es – Straßenbahnen in den Depots und müssen von der Werkstatt wieder flott gemacht werden. Das heißt: enteisen, Batterie wieder aufladen, Stromabnehmer reparieren – und vielleicht noch mehr, auch die Elektronik kann gelitten haben. So viele Straßenbahnen hat die VGF dann auch nicht mehr „übrig“ – normalerweise hat man etwa 1-2 Straßenbahnen mehr, als man braucht – denn wieso sollte man Straßenbahnen kaufen (Stückpreis ~1 Mio. Euro), die man nur ganz selten braucht? Viele beheizte Hallen gibt es auch nicht (wäre ja Energieverschwendung, oder…?), so können auch nicht alle Bahnen auf einmal aufgetaut werden.

In Russland geht’s doch auch?!

Leider habe ich es noch nicht selbst überprüft – wer fährt mit mir da hin? – aber in Russland geht das bestimmt. Russland hat aber einen, zumindest was dieses Problem betrifft, charmanten Vorteil: wenn’s mal kalt ist, bleibts das auch. Hier ist das ja nicht wirklich der Fall. Hier ist es „um die 0°C“ – und dann taut es tagsüber und nachts friert das Wasser an den Oberleitungen es wieder fest. Der absolute Killer, denn man kann ja nicht gleichzeitig alle Strecken permanent enteisen.

Warum fährt die U-Bahn, aber die Straßenbahn nicht?

Die U-Bahn hat eigentlich auch all diese Probleme – zumindest die Linien U1, U2, U3, U8 und U9. Aber: sie fährt zum einen viel öfter, zum anderen hat sie immer gleich mehrere Fahrzeuge, die alle einen Stromabnehmer haben und damit besser das Eis abkratzen. Auf den Linien U4, U5, U6 und U7 werden außerdem noch Fahrzeuge älteren Typs eingesetzt, die robuster gegenüber dem Eis sind. Diese können morgens vorfahren und dann haben auch die neueren Fahrzeuge nicht so große Probleme, weil die Eisschicht in der kurzen Zeit nach der letzten Bahn nicht so dick werden kann. Ein Sonderfall ist hier die U9 – sie schafft den steilen Berg auf den Riedberg hoch nicht. Ich vermute, es liegt an einer Mischung der langen, steilen Strecke in Zusammenhang damit, dass sie nur mit einem Wagen verkehrt – und damit schlechter das Eis von der Leitung kratzt.

Ein weiteres Problem betrifft auch fast nur die Straßenbahn. Sie verläuft in der Straße – also mit den Autos zusammen. Diese drücken den Schnee in die Rillen an den Schienen. Der Schnee kann nun in den Rillen wieder festfrieren und diese verstopfen – eine Entgleisungsgefahr für die Straßenbahnen. Von dieser sind die Niederflur-Trams stärker betroffen: sie haben kleinere Räder und sind leichter, deswegen können sie leichter entgleisen.

Da mir die Nachfrage gestellt wurde: auch in der zum Alpen- und Schneeland Österreich gehörenden Hauptstadt Wien sind vereiste Oberleitungen ein Problem, wie die Wiener Linien freundlicherweise auf Twitter berichteten. Danke dafür!


Ergänzung vom 23. Januar, 18:06 Uhr

Ein richtiger Gleichstromeisenbahner hat noch ein paar Ergänzungen geschrieben. Danke hierfür! :-)

Die Frankfurter Rundschau berichtet sachlich teilweise falsch von der mühevollen Arbeit, die Oberleitung per Hand zu enteisen.

Die FAZ schreibt in einem Kommentar, warum es sich vielleicht nicht unbedingt lohnt, für so einen Fall vorzusorgen – das letzte Mal gab es Eisregen mit Straßenbahnausfall 1991.

Die Tagesschau berichtet auch süffisant darüber, dass der Ebbelwei-Express Frankfurts Nahverkehr rettet….

Tags: Eisenbahn · Technik