…und auf Schienen. Es geht mal wieder mit dem Zug durch den Balkan. Diesmal allerdings Richtung Westen – über Nis, Belgrad, Novi Sad, Budapest und Wien nach Frankfurt. Nicht mit dem Flugzeug, das die 1.700 km in gut 2,5 Stunden absolviert. Der Zug braucht dafür etwas mehr als das zehnfache – etwa 31 Stunden.
Los ging es heute Mittag in Sofia. Auf der Fahrkarte stand 11:50 Uhr als Abfahrtszeit – wegen massiven Schneefalls (etwa 1 cm pro Stunde) war ich aber relativ knapp erst um 11:34 am Bahnhof. Es gab kein Taxi und so weiter, naja. In Frankfurt wären wahrscheinlich schon der Flughafen geschlossen, die Trams eingestellt, alle Weichen vereist, der Bahnhof geschlossen und alle Busse eingestellt worden. Hier war halt einfach nur ein bisschen mehr Stau als sonst….aber zurück zum Bahnhof. Auf der Abfahrtstafel war garkein Zug um 11:50. Leichte Panik machte sich breit aber dann – nach einer Auskunft und nochmal Sichergehen der Tatsache, dass da tatsächlich Белград/Виена meinen Zug meint. Da war noch Zeit für ein zweites Frühstück: Kaffee und Schinken-Käse-Toast für 2,10 Lewa. Der Zug fuhr erst um 12:25 Uhr. Das wusste aber weder der bulgarische Fahrplan, noch der Fahrplan der Deutschen Bahn. Sogar die Fahrkartenverkaufsstelle wusste es nicht. Amüsantes Details der elektronischen Zuganzeige: der S-Bahn-artige Vorortzug nach Банкя stand sogar auch lateinischen Buchstaben dran: Bankya. Der internationale Schnellzug und alle anderen Züge aber nicht. Total praktisch für Reisende ohne Kyrillischkenntnisse, die wollen nämlich bestimmt mit Vorliebe Sofias Vorstädte besichtigen…
Gelitten hatten übrigens trotz der 35 Minuten späterer Abfahrt die Reisenden aus dem Anschlußzug aus Istanbul. Der war wegen Problemen an der Grenze 50 und wegen Bau- und Rekonstruktonsarbeiten an der Strecke weitere 120 Minuten verspätet. Zusammen also selbst die Deutsche Bahn in den Schatten stellende 170 Minuten. Wegen etwa 30 Minuten hat man dann halt gelitten. Anschluss abwarten und Wagen rangieren iss nicht – unser Zug fuhr pünktlich los. 12:25 Uhr – auf die Sekunde. Für Reisende aus Istanbul gibts ja immerhin noch den zweiten Zug nach Belgrad. Irgendwann abends um Acht, Ankunft nachts um 3 Uhr. Also lieber gleich eine Nacht in Sofia einplanen – nur, falls Ihr mal in die Gelegenheit kommen solltet ;-)
Zurück also zu unserem Zug, der mit ziemlich fixen 80 km/h Richtung Serbien fuhr. Leider so fix, dass der Flugschnee durch die Fensterritzen von unten ins Abteil und ans Fenster von Innen gewirbelt wurde. Dafür gabs nach dem Schließen der Abteiltür – ich Glücklicher hab trotz 3er-Reservierung eins für mich alleine – auch etwas Wärme. Der Schnee schmolz also auch wieder und bedeckte das GPS-Gerät mit Wassertropfen – die Gardiene in die Fensterschlitze gestopft behob das Problem jedoch.
In Dragoman stiegen dann nach einer sehr kurzweiligen Stunde Fahrt schon die Grenzer ein und begannen mit der Kontrolle. Es dauerte noch etwa 5 Minuten, bis wir endlich weiterfuhren – die Kontrolle wird zur Freude Aller an Bord durchgeführt, also nicht wie die türkische Grenze… Die Freude währte nicht lange. Noch auf der Ausfahrweiche flog etwas von unserem Zug im hohen Bogen in den Schnee. Ich hielt es erst für irgendeinen Schnee-Rest. Dann dachte ich es sei der Pantograf (Stromabnehmer) der Lok. Dann dachte ich: sowas passiert doch normalerweise nie! Falsch gesehen. Und erstmal fuhren wir auch noch ein Stück weiter. Aber doch: die Lok hupte 3 mal und dann war Essich mit Fahren. Ohne Strom funktioniert so ’ne Elektrolok auch denkbar schlecht. Insgesamt dauerte es nur ’ne Stunde bis der Lokführer mit seinem Kollegen unter Zuhilfename mehrerer der 4-6 Schaffner (für zwei Wagen!) den Pantograf gefunden und wieder zurückgeschliffen hatten. Mit dem Zweiten fährt man besser – war dann zumindest das Motto – der andere Pantograf funktionierte ja zum Glück noch. Übrigens ist das der Grund, warum bei E-Loks normalerweise immer der hintere Pantograf oben ist: Wenn er kaputt geht, fallen die Teile wenigstens nicht auf den Zweiten. Und noch ein Bulgarisch-Internationales Wort gelernt: Пантограф/Pantograf. Brauch ich bestimmt noch oft bei Taxifahrten oder im Restaurant….
Während wir also so vor uns hin warteten und die Schaffner durch Knöcheltiefen Schee über den Bahndamm wanderten wurden unsere Pässe kontrolliert. Und nach einem Stempel gebettelt hab ich mal wieder – und endlich habe ich mal einen EU-Stempel mit Zug ;-) Der Engländer neben mir und ich hatten kein Problem. Nagut, fast keins – der Engländer musste noch eine Umhängetaschen-durchwühl-Kontrolle über sich ergehen lassen. „Ob er denn Marihuana dabei hätte?“. Na klar. Offenbar war dem Grenzer dann die Erfahrung mit Wollmäusen genug und ich bin dann unbehelligt geblieben. Der Engländer, Toningenieur, raunte mir noch zu: „I’ve not cleaned this pocktes for at least three years…!“. Vielleicht sinds auch mal wieder nur Oberflächlichkeiten – immerhin sah ich wahrscheinlich nicht aus wie Bob Marley auf Interrail…
Der Nächste nach mir – ein 3 Minuten vor Abfahrt eingestiegener Chinese – hatte dann mehr Probleme. Sein Pass wurde mitgenommen und war dann erstmal weg. Zwischenzeitlich hatte man dann auch den Pantograf gefunden und fuhr weiter.
Dann hatte die serbische Grenzbeamtin herausgefunden, dass ich ein paar Brocken Bulgarisch spräche und eben auch Englisch – und zog mich dann zu Rate für den Pass des Chinesen. Ich dachte auch erstmal: „Was ist da los?“ – sie wollte eine Übersetzung auf Bulgarisch. In dem Pass stand nämlich – neben ’nem Haufen Chinesischer Buchstaben – : „The Ministery of Foreign Affairs requests all civil and military authorities to allow travel for our citizen trough their country.“ (sinngemäß, hat jemand mal ’n chinesischen Pass zum nachschauen? Steht gegenüber der Seite mit dem Bild ;-)). Was wohl einfach nur nett gemeint war entpuppte sich nach viel bulgarischem Gestotter meinerseits als ziemlich Mißverständnisträchtig: Die Grenzer dachten, der Chinese ist Mitarbeiter im Chinesischen Außenministerium und hat einen Diplomatenpass…
Die Bulgarische Grenzstation passierten wir dann mit ’ne guten Stunde Verspätung. Der Engländer hatte irgendwoher einen Fahrplan bekommen, der offenbar stimmte. Unterschied zum DB-Fahrplan: in Bulgarien ist der Zug jetzt über ’ne halbe Stunde schneller. Jaha…wahrscheinlich geht die Lok auch nicht immer kaputt.
In Dimitrovgrad – der serbischen Grenzstation – hielten wir dann wieder an und die Grenzer stiegen aus. Immernoch mit dem chinesischen Pass. Irgendwann kamen sie wieder und dann war die Misere perfekt: ohne Visum keine Durchreise für Chinesen. Das hatten wohl die Kollegen auf der Ungarischen Seite verzockt – auf dem Hinweg war das kein Problem. Verständlicherweise ziemlich angefressen musste er dann aussteigen. Er dachte, Serbien gehört zur EU und mit einer Aufenthaltsgenemigung für Deutschland wäre da Visafreiheit. Dass er an der Türkischen Grenze wegen selbem Grund umkehren musste und just die Nacht zuvor in Griechenland wegen Streks nicht das Land wechseln konnte machte es auch nicht besser. 30 Euro Schlafwagenzuschlag gabs dann auch nichtmehr zurück – da wär ich glaub ich auch ziemlich angefressen. Zwar hätte ein Besuch auf der Internetseite des chinesischen Außenministeriums vermutlich sowohl das Problem in der Türkei als auch in Serbien verhindert. Aber nun – nur wegen eines Stempels. Ziemlich bescheuert. Jetzt fährt er vermutlich über Rumänien.
So richtig toll wars auch nicht, die Botschaft „ab nach Sofia in die Serbische Botschaft“ auf Englisch zu übersetzen…aber gleich die Übersetzung zu verweigern wäre ja auch keine Option gewesen, oder?
Nun sitze ich also irgendwo mitten in Serbien im Zug. Die Sonne ist inzwischen untergegangen und man sieht nichts mehr vom Winterwunderland. Wir erlebten eben eine ganze Serie von Schnellbremsungen. Halt mal wieder irgendwas kaputt. Überhaupt hängt hier und da eine Abdeckplatte herunter, auf dem Boden liegen Schrauben. Eben alles nicht mehr so taufrisch. Warum erfährt man an der Grenzkontrolle: die Grenzer haben Schraubenzieher dabei und schauen, ob Schmuggler – die vermutlich ebenfalls welche besitzen – dort heiße Ware versteckt haben…
Vor dem Fenster zieht hier und dort im Laternenlicht die verschneite Landschaft vorbei. Hier liegen bestimmt 10 cm Schnee. Die ein- oder andere leuchtende Weihnachtsdekoration gibts allerdings auch. Chemiefabriken und auch den ein oder anderen Bahnhof. Dafür habe ich 6 Decken, zwei Bettlaken und ein Kissen. Meine Füße sind trotzdem kalt. Nagut, ich benutze auch nur zwei der Decken – mit mehr kann ich nicht wirklich was anfangen. Nicht, dass es wirklich kalt wäre. Aber halt auch nicht wirklich warm.
Die ersten 300 von 1.700 km haben wir jetzt dann auch schon in 7 Stunden geschafft. In Zahlen: 17,6% der Strecke in 22,6% der Zeit. Oder: 42 km/h. Was angesichts einer defekten Lok, zwei Grenzposten und eines Passproblems garnicht mal so schlecht ist. Wenn man die Zeitumstellung einrechnet sinds sogar 50 km/h – man erreicht die serbische Grenze 50 Minuten bevor man an der Bulgarischen losgefahren ist. Sieht mal mindestens auf dem Fahrplan echt komisch aus…
Und in Belgrad werden wir 2 Stunden Aufenthalt haben – naja, dann wohl noch 30 Minuten. Dafür sind wir vielleicht wieder etwas pünktlicher.
Achja: Speisewagen gibts auch nicht. Würde auch etwas übertrieben wirken – der Zug besteht aus einem Schlafwagen, einem Sitzwagen, einer Lok. Was zu essen gibts nicht. Aber Wasser, Cola und Bier – habe gerade gefragt. Allerdings, spitz formuliert, gibts das Bier im internationalen Zug nur zu internationalen Preisen. Was in Bulgarien im Markt 1, im Restaurant 2 Lewa kostet, kostet hier 2 Euro/4 Lewa. Aber immerhin 0,5 L Шуменско/Schumensko.
Der Schnee an den Fenstern – ist inzwischen recht ausgewachsen. Wir fahren aber zum Glück seit Nis in die andere Richtung und mein Fenster ist nur in eine Richtung undicht…
Ich werd mich mal über mein Essen hermachen. Brot mit Сирене/Sirene (sowas wie Feta, nur leckerer), Tomaten, Zwiebeln und Pfeffer. Zum Nachtisch schweizer Ovomaltine Schokolade und zum Lesen (Shadowmarch, Bd. 3 :-)) Chips und Bier. So schlecht lebt es sich also nicht, irgendwo im Nachtzug unter den Wolken Serbiens.
Hinweis: den nächsten Teil der Reise findet ihr unter „Auf dem Abstellgleis“.
Der Artikel liest sich seltsam, so als ob du eine ganz negative Einstellung zu der Fahrt gehabt hast weil du penibel aufzählst was nicht so toll gelaufen ist. Ich finde das schade weil ich zb Bahnfahren immer, bei ganz gleich welchen Bedingungen sehr angenehm finde und mich Geschwindigkeitsangaben etc. einfach kalt lassen.
Konzentrier dich bei solchen Berichten auch auf positive Beobachtungen und versuch so einen Ausgleich zu schaffen.
Hi Jeff,
danke für Deine Nachricht. Schade, wenn der Bericht so negativ rüberkommt – denn so negativ war meine Einstellung zur Fahrt ganz und gar nicht. Vielleicht gehe ich sowieso davon aus, dass die Fahrt gut ist und beschreibe nur die unvorhergesehenen Dinge. Und manchmal ist es auch einfach, dass mich der Kontrast reizt – was auf dem Balkan als Bahn fährt und mit welchen ganz anderen Problemen man es zu tun hat – in der Sicht aus einem Nutzer der das vorherige Leben nur in Deutschland mit der Bahn gefahren ist – und am Ende wegen der von vornherein bekannten Langsamkeit und Ruhe trotzdem besser ankommt…
Nun, es wird noch einen zweiten Teil geben, vielleicht schaffe ich es da meine Stimmung besser rüberzubringen ;-)
Grüße, unbekannterweise, Fips