Lokalbahnhof

Nicht nur der tägliche Einstieg ins Chaos

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Auf dem Abstellgleis

Dezember 17th, 2010 · 2 Kommentare

Auf dem Weg von Sofia nach Wien ging es weiter – wir waren gerade auf dem Weg von Nis nach Belgrad. 237 km sinds insgesamt – die Verspätung wuchs und wuchs. Was solls, wir hatten ja Zeit. 2 Stunden Anschlusszeit in Belgrad sollten reichen – bisher hatten wir ja erst etwas über eine Stunde Verspätung. Außerdem hatte ich ja einen Kurswagen nach Wien – da konnte ja nichts passieren.

Also erstmal weiterlesen und Musik hören. Da es wie erwartet keine Steckdose gab, mussten die vorhandenen Akkus von 2 Laptops und des Mp3-Players irgendwie rationiert werden. Naja, von den 21 Stunden werden ja sicherlich 10 geschlafen werden – ich war schon ziemlich müde, wollte aber wenigstens Belgrads Bahnhof noch sehen.

Es wurde später und später. Eine Langsamfahrstelle folgte auf die Nächste vor Belgrad. Zeitweise durfte der Zug lediglich 10 km/h fahren – die Entdeckung der Langsamkeit, wahrlich. Um 19:19 Uhr sollten wir in Belgrad ankommen, um 21:25 Uhr ging der Nachtzug nach Wien, an den wir angehängt werden sollten. Wir hielten in Belgrad dann um 21:50. 150 Minuten später als geplant und 25 Minuten zu spät für den Anschlusszug. Aber bestimmt hatte man ja auf uns gewartet. Ich machte mir also keine größeren Sorgen – man würde sich ja um uns kümmern, sollte irgendetwas sein. Einer der unschlagbaren Vorteile von Kurszügen!

Nachdem wir also in Belgrad hielten, ging ich zum Schaffner um ihn nach unserer Връзка до виена – unserem Anschluß nach Wien zu fragen. Den Schaffnern hatte man bisher noch nichts mitgeteilt – so gab es ein „keine Ahnung, vielleicht, mal schauen…und wenn nicht werden wir halt an den nächsten Zug gekoppelt. Der fährt morgen um kurz vor 8 Uhr.“

Wow. Das hätte ich nicht erwartet. Das man uns einfach stehen lässt? 9 Stunden lang?

Nun ist es so, dass so ein Schlafwagen einen Generator besitzt, der den Strom für Licht und Wärme produziert. Der funktioniert nur, solange man fährt – sonst gibts ja keine Energie, die man umwandeln könnte. Es gibt zwar eine Batterie, aber die ist für kurze Stopps an Bahnhöfen, nicht 9 Stunden gemacht. Also gabs auch keinen Strom mehr – die Batterie musste geschont werden, die Pumpe für die Heizung laufen zu lassen. Zum Glück hatten wir eine Kohleheizung – das sieht irre aus. Im Wagen ein kleines Räumchen mit so einer Feuerbüchse, diversen Manometern, Rädchen. Der Kohlebunker befindet sich gegenüber des Räumchens: Hinter der Wagenverkleidung direkt neben dem Einstieg. Die beiden Schaffner mussten also die ganze Nacht Kohle nachschippen, die Armen.

Wenn ich die beiden Schaffner richtig verstanden habe, dann haben sie wohl noch versucht aus einem Depot einen Adapter zu holen oder zu basteln – einer der Beiden fuhr mit einem serbischen Kollegen dann in einem alten Auto knatternt über den Bahnsteig weg. Es war also trotzdem genug los. Lesen war nämlich schwierig, ich hatte keine Taschenlampe dabei. Da wir aber noch am Bahnsteig standen, konnte ich das Bett im Licht der Bahnsteigbeleuchtung machen. Ich war ohnehin sehr müde, also bin ich alsbald ins Bett gegangen. Nach einem Besuch der Toilette („Das Benutzen des Abortes ist während der Aufenthalte auf den Bahnhöfen nicht gestattet“ – ne?) wünschte ich den Schaffnern noch eine gute Nacht, was sie auch taten. Gemeinsam mit der ernst- und nettgemeinten Empfehlung, mich blos warm einzupacken. Einen Vorschlag, den ich nur allzugern befolgte – 6 Decken hatte ich für mich alleine, 4 haben mir aber dann gereicht.

Kurz später wurden wir dann vom Bahnsteig wegrangiert – dann gabs dann kein Licht mehr. Außer dem Handy, aber dessen Batterie wollte ja geschont werden. Also Schlafen. Warum auch nicht – war wie in einem Hostel, nur dass man am nächsten Morgen den Zug nicht mehr bekommen musste. Echt praktisch. Schlafen kann man da übrigens sehr gut – es war ruhig, nur der Waggon knarzte etwas – das Metall zog sich wohl auch vor der Kälte zurück und versuchte sich zusammenzuziehen. Auf einem Abstellgleis irgendwo zwischen lauter Zügen geschlafen hatte ich auch noch nicht. Da wir unseren Zug ja denkbar schlecht verpassen und ich all‘ meine Wertsachen unter dem Bett auf dem ich schlief verstaut hatte brauchte ich mich auch um nichts sorgen zu machen und schlief. Wirklich sehr gut. Allerdings nicht ohne den obligatorischen Mist-verschlafen-blos-schnell-aussteigen-Traum.

Der nächste Morgen begann mit Rangierarbeit – man hatte uns also nicht vergessen :-) Und verschlafen konnte man wirklich nicht. Irgendwann gings dann auch los – ab nach Budapest. Geplante Ankunftszeit: 14:54 Uhr. Anschlusszug nach Wien: 15:10 Uhr, Ankunft in Wien: 18:00 Uhr. Vielleicht auch erst 17:10 Uhr, Ankunft Wien: 20:00 Uhr. Also irgendwie 9-11 Stunden Verspätung. Was in Deutschland Minuten sind, sind hier Stunden. Was solls – so hatte ich Zeit zum Ausschlafen und schaute lediglich nochmal aus dem Fenster – Belgrad bei Tag und im Schnee. Danach wurde erstmal weitergeschlafen.

Fast – eine kleine Randnotiz gab es noch. Der Engländer, der mir im Laufe dieses Gesprächs seinen Namen Dave verraten sollte, war ziemlich verwirrt als er aufstand. „Still Belgrad?!?!“ hörte ich durch die Abteilwand, gemeinerweise nicht ohne gewisse Belustigung. Aber wie muss es wohl sein, wenn man nach dem Aufwachen feststellt, diese Nacht dann doch nicht 600 km weit gefahren zu sein. Sondern 0 km…? Ich erklärte ihm kurz, dass wir unseren Zug verpasst hatten und erst abends in Wien ankommen würden. Etwas traurig, dass er nun so Wien nichtmehr sehen würde, da er nur den einen Tag eingeplant hatte, ging er wieder zu Bett. Und ich dann auch.

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