Von Sofia ans Schwarze Meer (Черно море/Tscherno more) kann man mit der Български държавни железници/Balgarski Darschawni Schelesnizi fahren – mit der Bulgarischen Staatsbahn. Leider ist das Wort Eisenbahn (железопътен/Schelesopaten) ein doch eher ziemlich kompliziertes und ich kann es bis heute leider nicht auf Bulgarisch aussprechen. Mit dem ‚workaround‘ Гара/Gara/Bahnhof, das einem aus dem Französischen doch ein bisschen bekannt ist, kommt man aber trotzdem gut durch. Überhaupt sind ein paar Eisenbahn-Begriffe, die ich bisher kenne, aus dem Französischen entlehnt – Вагон/Wagon. Klasse, im Sinne von 1. und 2. Klasse, heisst auch Клас/Klas. Lokomotive: Локомотив/Lokomotiv ist auch relativ eingängig. An einigen Bahnhöfen hängen zudem auch zweisprachige Schilder; Chef du Gare und die bulgarische Bezeichnung für den Bahnhofsvorsteher. Zudem sind die Funktionsräume auch zweisprachig beschildert. Die Stationsnamen sind auch immer in Kyrillisch und Lateinisch angegeben – man kann also durchaus auch ohne Kyrillisch-Kenntnisse die Bahnhofsnamen lesen.
Das ist auch bitter nötig, mangels Ansagen oder gar Anzeigen sollte man doch recht gut wissen, wann man wo aussteigen will. Oder man fragt einen der netten bulgarischen Mitreisenden, die bisher jedesmal sehr hilfsbereit waren – bisher konnte dann doch irgendwer immer Deutsch oder Englisch.
An den Zügen findet sich – was in Deutschland ja nur noch an den modernen ICEs mit Digitalanzeige möglich scheint – eine korrekte Zielangabe. Ganz praktisch, die Zielanzeigen im Bahnhof zeigen nämlich nur noch den Himmel an….
Im Zug klappt aber alles ganz gut, wir sind pünktlich um 13:20 Uhr losgefahren – und nachdem wir die Vororte Sofias verlassen hatten, bot sich uns ein wirklich schönes Bild der Landschaft Bulgariens. Um sich im Norden das Überqueren des Balkangebirges zu ersparen, folgt die Eisenbahnstrecke dem relativ engen Tal des Flusses Iskar. Die Strecke erinnert an vielen Stellen an das Rheintal – auch wenn einen das fortwährende klack-klack der Räder und das Schaukeln der Wagons daran erinnert, dass man nicht auf den neusten Schienen unterwegs ist. Das Verschweißen der Schienenstöße ist hier wohl erst seit kürzerer Zeit verwendet (dann macht es nicht mehr klack-klack) – auf etwa 2/3 der Strecke gab es aber noch das fast schon nostalgische Geräusch.
Entlang des Tals führt auch eine Autostraße, die an vielen Stellen über beeindruckenderweise noch immer stabile Brücken führt. Aus dem Zug sieht man glücklicherweise nicht, wie die Brücken aussehen, über die man fährt. Während wir durch das Tal fuhren – mit größtenteils gemütlichen 40-60 km/h – bekamen Malaika und ich richtig Lust, den Fluss einmal mit dem Kanu zu befahren. Die Landschaft drumherum ist wirklich schön und der Fluss recht breit.
Daneben soll man dort recht gut wandern können – auch Freeclimber kommen auf bis zu 300 Meter hohen Steilhängen auf ihre Kosten. Ich werde es aber vermutlich lieber beim Wandern belassen…
Die EU ist in Bulgarien auch in der Eisenbahn präsent – oder zumindest an den Bahnhöfen. An vielen Stellen sieht man neben der Bulgarischen auch die Europäische Fahne. Eine Mitreisende erzählte uns auch gleich auf die Frage, was man in Bulgarien mit der EU verbinde, ein Wort: „Hoffnung“. Hoffnung, dass alles etwas besser würde und die EU Bulgarien unterstützt. Und an vielen Stellen sieht man auch, dass die EU fördert – Schilder mit der Aufschrift „Unterstützt mit Mitteln aus der EU“ findet man überall, ob in der U-Bahn, in Parks oder sogar auf Wegweisern im Vitosha-Gebirge.
Die Einstellung zur EU ist in Bulgarien also eine gänzlich andere, als in Deutschland. Während man in Deutschland nur den Regulierungswahn der EU mit all ihren Verordnungen beklagt (die interessanterweise fast immer aus Deutschland kommen – ich sag nur: Banenenkrümmungsnorm und Garagendachneigungswinkelnorm….) – ist man hier froh, in der EU zu sein. Ob allerdings die Einführung des Euro, den sich Bulgarien ja wünscht, hier so sinnvoll ist, wage ich zumindest aus der Sicht der Leute im Land zu bezweifeln. Da die Löhne so niedrig sind, würden sich „Teuro“-Effekte fatal auswirken….
Aber ich schweife ab. Die Reise ging natürlich weiter (wir hatten ja erst 2 von 8 Stunden hinter uns) und im Flachland der Donauebene angekommen, wurden die Schienen besser und damit die Geschwindigkeit höher. Wir fuhren bis zu 100 km/h – was allerdings auch mal dazu führte, dass der Zug arg in die Eisen gehen musste, um anzuhalten.
Der Bahnhofsvorsteher musste dann auch noch persönlich bis zur Lok wandern, da das Signal gestört war. Vermutlich musste er einen Schriftlichen Befehl ausstellen – wir fuhren nämlich anschließen anstandslos über das rot zeigende Signal….
Überhaupt gibt es hier noch viele Dinge, die in Deutschland kaum noch anzutreffen sind – die Weichen werden an vielen Stellen noch per Hand (!) gestellt und die Bahnhofsvorsteher kleinerer Stationen, die ohne Halt passiert werden, müssen mit der grünen Kelle auf dem Bahnsteig stehen, um die Durchfahrt zu erlauben. Zudem scheint es eine Regel zu geben, die den Stellwerkern vorschreibt, aufrecht mit einer gelben Fahne in der rechten Hand in ihrem Stellwerk zu stehen, wenn der Zug vorbei fährt. Das sieht bisweilen schon sehr skuril aus – leider konnte ich es bisher noch nicht fotografieren.
Auch die Bahnhofsvorsteher tragen alle noch eine einheitliche Uniform mit roter Mütze – und wenn sie mit der Kelle unterm Arm den Bahnsteig entlangschreiten sieht das schon sehr anachronistisch aus.
Bei allem Alten, Überholten oder Ungewohnten gibt es aber auch modernes – für den Regionalverkehr gibt es neue Züge. Von Siemens, und die seien ja schließlich „Deutsches Ingenieurswerk“ (mit dem Tonfall: „und damit ja schon per Definition super…“) – so versicherte uns ein alter Elektrolokomotiven-Ingenieur der ein paar Worte Deutsch sprach auf der Fahrt zum Rila-Kloster eine Woche vorher. Ob das aber wirklich ein Garant für gute Qualität ist, sei bei allen ICE-Achsen-Problemen mal so dahingestellt. Und wenn dann bei Tempo 300 noch eine Tür aufgeht…
Die weitere Fahrt durch das Flachland Bulgariens ist nicht mehr ganz so besonders wie das Iskar-Tal, man erkennt aber eigentlich immer wie schön die Landschaft hier in Bulgarien ist. Sobald man aus Sofia raus ist, wird es schön. Das einzige, was eigentlich permanent die „Idylle“ stört ist der allgegegwärtige Müll. Er liegt einfach in jedem Bach, an jeder Straßenkreuzung und es interessiert einfach niemanden – jeder kippt auch seinen Bauschutt ganz ungeniert aus dem Anhänger irgendwo in die Landschaft. Autoteile, Öltanks oder auch mal ganze Autos stehen auf Feldern und rosten vor sich hin. Ich war regelrecht geschockt, als ich das erste mal „schlimmere“ Ecken gesehen habe. Dagegen wirkt der eine oder andere verrostete Wagen auf einem Abstellgleis schon wieder richtig ’normal’….
Wenn man darüber hinwegsieht, hier und dort Müll zu sehen, wirkt die Donauebene auch sehr schön:
Bei 8 Stunden sollte man sich allerdings auf jeden Fall was zu Essen mitnehmen – einen Speisewagen gibt es nur in dem Zug, der Sofia um 6 Uhr in der Frühe verlässt. Außerdem Wasser und – naja…auf die Toilette gehen ist kein Spaß. Wasser gibt es fast nie, selbst wenn ist der Effekt nicht gerade berauschend. Dafür soll es bald W-LAN geben – vielleicht kann man sich dann etwas Hygiene- und Toilettenpapier aus dem Internet ausdrucken….
Kurz vor Warna ging dann die Sonne unter und wir konnten nur noch das schwarze Meer erahnen. Auch Brücken und Kräne waren nur am Licht zu erkennen. Am Bahnhof gab es dann wieder etwas eigenartiges zu sehen – leider nicht zu fotografieren. Die für die Fahrt nach Sofia bereitgestellten Schlafwagen wurden mit Kohle, Holz oder Koks-Briketts befeuert um vorgewärmt zu werden…. Der ganze Bahnhof roch danach. Sowas hatte ich noch nie gehört – kennt das noch jemand von „früher“? Leider waren für die Rückfahrt schon alle Schlafwagenplätze ausgebucht und wir mussten uns wieder mit der 1. Klasse begnügen. Glücklicherweise waren wir alleine in einem Abteil und die Sitze ließen sich weit genug ausziehen, um als Liege zu dienen. Das war wahrscheinlich ähnlich bequem, wie zur Zeit ein Feldbett am Frankfurter Flughafen – nur dass man voran kam. Früher – so erzählt uns Ivan aus Warna – gab es wohl mal zwei Schlafwagen. Leider ist wohl mit der Zeit einer kaputt gegangen und/oder leider ausgebrannt. Die Mitreisende aus Sofia erzählte uns, dass dieses und ein weiteres Feuer in Zügen in Bulgarien zu einem totalen Rauchverbot in der Bahn geführt haben – das auch eingehalten wird, im Gegensatz zu vielen anderen Orten mit Rauchverbot. Vielleicht sind auch einfach welche bei Entgleisungen kaputt gegangen. Bei der letzten Entgleisung eines Fernzugs fehlte Zeitungsberichten zufolge wohl einfach ein 16-cm-Stück Gleis, was wohl irgendwann in den letzten 25 Jahren seit der letzten Wartung abhanden gekommen ist…
Entgegen aller Vorraussagen waren wir aber absolut pünktlich in Warna um 21 Uhr. Da kann sich die Deutsche Bahn ruhig mal eine Scheibe von abschneiden. Auf der Rückfahrt hatten wir Verspätung – aber nur 5 Minuten.
Was allerdings gut zu wissen ist: Dass der Zug mal 2-3 Minuten früher abfährt, ist wohl nicht unüblich. Wenn man also zu pünktlich ist, kann man auf den Nächsten warten – und das kann dann doch mal eine ganze Nacht dauern. Und an Feldbetten ist an Bulgariens Bahnhöfen eher nicht zu denken….
P.S.: Dass die Bulgarische Staatsbahn mit BDZ abgekürzt wird, liegt an verschiedenen Transkriptionsarten. Der Buchstabe Ж wird ausgesprochen wie das „J“ im deutschen „Journal“ – mit einer der vielen Transkriptionen aber als Ž transkribert. Daher liegt es nahe, das einfache Z zu verwenden.
Lustig, dass Du den Bahnhof in Pavlikeni fotografiert hast. Das ist der Geburtsort von Dessy.
Toller Reisebericht übrigens!
Viele Grüße aus Varna!
Ivan
Ohja, das ist echt Zufall… Leider hat man ja nicht bei allen Stationen das Glück, genau vor dem Stationsschild zu stehen…
Danke :-) und viele Grüße aus Sofia!