(There is an English version of these entry, see: Overnight to Europe (Part 2))
Das hier ist der zweite Teil meiner Abenteuer in Istanbul – der erste Teil ist: „Wie man seinen Pass in Istanbul verlieren kann (Teil 1)“. Ich empfehle wirklich den ersten Teil zu erst zu lesen – ansonsten wird vermutlich manches unverständlich bleiben.
Wir setzten die Reise also am internationalen Ticketschalter der türkischen Staatseisenbahn in der Station Istanbul Sikeci fort:
~18:02 Uhr
Nach ein paar Minuten nachfragen und ratlos schauen bot mir der Beamte ein Ticket mit Schlafwagen nur bis Dimitrovgrad an, was um 6:19 Uhr am Morgen erreicht werden soll. Von dort aus habe ich auf den nächsten regulären Zug nach Sofia zu warten. Nagut – nicht so ganz sicher was mich dort erwartet aber auf jeden Fall heute Abend aus Istanbul wegwollend (auch wenn’s eine wirklich, wirklich schöne Stadt ist!) stimmte ich dem Angebot zu und kaufte das Ticket für 58,30 Lira (29.81 Euro). Ich hab ein Ticket nach Hause!
18:16 Uhr
Die Straßenbahn bremst ziemlich heftig. Eigentlich normal für diese Linie – unglaublich wie viele Menschen, Auto und was sonst noch diese Strecke kreuzen. Nach einer Minute geht es weiter – aber dann noch eine noch härtere Bremsung als eben, ein paar Leute konnten sich nicht halten. Zu deren Glück war die Straßenbahn voll genug, sodass niemand fiel. Wir sind gerade mit einem Auto zusammengestoßen.
Nach fünf Minuten gibt es eine Durchsage – natürlich nur in Türkisch. Nach ein paar weiteren Minuten hatte jemand keine Lust mehr und löste die Türnotblockierung aus und wir konnten aussteigen. Da ich nur noch zwei Stationen zu fahren und keine Ahnung hatte, wie lange es noch dauern würde, stieg ich auch aus. Wie man im Bild erkennen kann ist nicht viel passiert – das Auto war auch nur leicht beschädigt, keiner wurde verletzt. Als ich dann die Straße weiter entlang ging hat mich meine Tram dann doch noch überholt:
18:50 Uhr
Ich bin endlich im Hotel – all mein Gepäck ist noch da und ich konnte noch etwas Wasser trinken. Ich bestellte einen Tee und hab das freie WLAN genutzt um bei twitter ein Bild hochzuladen.
Ich trank also meinen zweiten türkischen Tee. Nach dem Unfall war ich aber noch viel gestresster, pünktlich am Bahnhof zu sein. Ich zog mir ein frisches Hemd an (ich hatte ja meinen Koffer zurück :-)) und nach dem Tee gings los zur Station.
19:30 Uhr
…die ich 2 Stunden und 30 Minuten vor der planmäßigen Abfahrt erreichte.
Ich nutzte die Zeit um den Abfahrtsplan zu fotografieren:
Ein bisschen ander – ich bin ja eher Frankfurt am Main Hauptbahnhof gewöhnt. 5 Züge kommen am Tag an und 5 fahren auch wieder weg – davon sind 3 nur Nationale Züge, von denen einer immerhin die Bulgarische Grenze erreicht. Dann gibts noch einen Nachtzug nach Thessaloniki – der Übrige fährt nach Sofia und Bukarest (mit Flügelung in Dimitrovgrad)…
Die nun immer noch reichlich vorhandene Restzeit hab ich genutzt um Postkarten zu schreiben. Falls Du keine bekommen hast: Sorry, hab Dich vergessen, hatte keine Lira mehr oder die Post ist zu langsam ;-)
20:30 Uhr
Abfahrt des Zuges nach Thessaloniki – genannt „Dostluk Ekspresi – Freundschafts Express“. Ich habe die Zeit genutzt um ein paar Fotos zu machen…
21:00 Uhr
Der Bosporus Express wird bereitgestellt.
Der gleiche Typ Wagon wie in Varna – nur dieses mal ohne Koksheizung. Als ich den Wagon im Vergleich zu den andern beiden Wagons sah (es gab insgesamt nur drei Wagons)…
…war ich irgendwie froh eine Reservierung für den nicht-bulgarischen Wagon zu haben (sorry Bulgarien…).
Meine Reservierung war für Wagon 479 – und ich konnte ihn nicht finden (ja, im Bild sieht man dass ich dort Wagen 479 fotografiert hab, aber ich war wohl zu blöd…). Ich fragte also den Schaffner des rumänischen Wagons, welcher mein Wagon ist. Er sagte mir, dass meine Reservierung gar nicht zu meinem Ticket passt (Istanbul – Sofia vs. Istanbul – Dimitrovgrad) – und dass meine Reservierung ja in einem 6-Personen Abteil sei. Es gab eine Möglichkeit das Ticket in ein erste-Klasse-Ticket umzuwandeln, mit Einzelkabine im rumänischen Wagen – nachdem 10 Euro den Besitzer wechselten.
22:00 Uhr
Wir fahren. Extrem pünktlich. Aber so ganz allein irgendwo zwischen Istanbul und der Bulgarischen Grenze fühlt sich schon komisch an. Und um ehrlich zu sein: Ich hab echt die Begleitung der anderen Erasmus vermisst. Wie man dem Fahrplan entnehmen kann konnte ich eine Mütze voll Schlaf bis 2:45 Uhr bekommen – dann musste ich für die Grenzkontrolle aufstehen. Viereinhalb Stunden Schlaf – ich hab um einiges weniger geschlafen…
02:45 Uhr
*klopf*klopf* – der Schaffner weckt alle Passagiere für die Passkontrolle auf. Ich bin schon etwa 10 Minuten früher aufgewacht – so konnte ich noch den Bahnhof vor der Grenze sehen. Wir hatten 10 Minuten Verspätung – nur für’s Protokoll.
~3:10 Uhr
Wir erreichen Kapikule – alle müssen aussteigen, den Bahnsteig entlang laufen, durch eine Unterführung und dann zur Passkontrolle. Ich war echt angespannt ob mein Perso und der A4-Zettel von der Polizei akzeptiert würden.
~3:30 Uhr
Ich bin raus! Es hat geklappt – der Grenzpolizist hat zweimal auf das Dokument geschaut, meinen Perso zweimal gescannt und dann hab ich ein kleines Zettelchen mit nur dem Ausreisevisum drauf bekommen. Hat noch nicht mehr länger als drei Minuten gedauert – der Rest war anstehen.
04:10 Uhr
Der Zug fährt langsam in die Europäische Union. Die Grenzpolizisten hatten noch jemand, der die Kontrolle verschlafen hat, gefunden und der musste dann über die Gleise springen um noch schnell seinen Pass kontrollieren zu lassen. Daher hatten wir nun 5 Minuten Verspätung – aber das war auch kein großes Problem.
04:12 Uhr
Die bulgarische Polizei kommt an Bord – und man sieht schon direkt einen Unterschied. Wir reisen in die Europäische Union ein – die Bulgarische Grenzkontrolle ist im Zug mit mobilen Scannern und einem Laptop und diversem Elektronikkram den ich nicht identifizieren konnte. Der Polizist – der sogar den kleinen Raum unter meinem Bett kontrollierte – fragte mich wohin ich denn wollte – Sofia – und schaute mich an. Ich konnte ihm dann erklären, dass ich nur ein Austauschstudent bin und das türkische Dokument zeigte einmal mehr, dass ich meinen Reisepass losgeworden bin. Er verstand -Няма проблем.
~04:30 Uhr
Ein andere Mann kommt in mein Abteil und fragt mich nach meinen Koffern. Er fragte mich ob ich Alkohol oder Zigaretten dabei hätte – ich verneinte und er war damit zufrieden. Also auch diese Kontrolle überlebt…
~04:50 Uhr
Jemand klopft an mein Fenster. Ich kann kaum was sehen, weil das Fenster so gut spiegelt – aber ich erkannte bekannte Gesichter. Wegen der extremen Unwahrscheinlichkeit einer solchen Situation – am Ende der Welt in einem Zug an der türkisch-bulgarischen Grenze – zweifelte ich an mir selbst. Aber es zeigte sich, dass da echt drei Leute von meiner Erasmus-Delegation waren, die auf diesen Zug an der Grenze gewartet hatten. Acht Stunden lang am Arsch der Welt.
05:08 Uhr
Planmäßige Abfahrt des Zuges von der Grenzstation Svilengrad.
später als 05:08 Uhr
Wirkliche Abfahrt des Zuges von der Grenzstation Svilengrad.
~05:30 Uhr
David und Arrowe kommen aus ihrem Wagen kurz rüber für ein kurzes Gespräch – sie warteten an der Grenze auf diesen Zug weil sie direkt nach Burgas fahren wollten. Scheint nicht so der große Spaß gewesen zu sein, 8 Stunden im Niemandsland zwischen der Türkei und Bulgarien zu warten. Leider wusste keiner von uns genau, wann der Zug geteilt würde und so hatten wir nur ein kurzes Schwätzchen und die Beiden gingen wieder zurück in ihren Wagon.
05:46 Uhr
05:59 Uhr
Simenovgrad – planmäßige Abfahrt: 5:54 Uhr.
06:20 Uhr
Wir erreichen Dimitrovgrad. Mein Schlafwagen endet hier – naja, nicht wirklich. Erstmal hab ich die Iren wieder auf dem Bahnsteig getroffen. Wir haben nicht gerade viel geredet – zu müde. Ich hab jemanden, der irgendwie offiziell von der Bahn aussah, ob es einen Wagen nach Sofia gäbe. Zu meinem Glück gab es einen weiteren Wagen der direkt nach Sofia fuhr – er wurde wohl irgendwo nach der Grenze oder irgendeiner der Bahnhöfe angehängt. Schwer zu sagen wo – wir haben eigentlich an jedem Bahnhof mindestens 30 Minuten gestanden…
06:39 Uhr
Die Reise geht weiter. Dieses Mal zwei Minuten zu früh – aber auch kein Problem. Schon bald werden wir dem Fahrplan hinterherjagen…
Ab hier habe ich recht viele Fotos gemacht.
Wie man sieht läuft jeder einfach hinter dem Zug über die Gleise – weit verbreitet. Und da eine Menge Bahnübergänge keine Lichter oder Schranken haben, pfeift der Zug ziemlich häufig. Manchmal bis nur Sekunden bevor der Übergang passiert wird. Offensichtlich wollen eine menge Fahrer „schnell“ bleiben und kreuzen die Strecke direkt vor dem Zug. Verrückt.
Die Sonne geht noch immer auf und taucht die Landschaft in wunderbare Farben.
Das nächste Bild könnte Dir von diesem Blog bereits bekannt vorkommen – ich benutze es neuerdings als „Header“. :-)
Vorbei an ein paar Ruinen.
Die Sonne geht weiterhin auf…
…und man sieht die wirklich schöne Landschaft Bulgariens :-)
Sehr unerfreulich: der Damm ist gehalten von alten, zerbrochenen Betonschwellen. Der Zug muss langsam fahren…
09:11 Uhr
In der Zwischenzeit hab ich nochmal zwei Stunden geschlafen – habe also das Abkoppeln des Zugteils nach Rumänien verpasst. Ich weiss auch nicht was passiert ist. Wir sind ein ‚kleines bisschen‘ zu spät. Wir warten gerade in einer kleinen Station ungefähr 50-70 km vor Plovdiv. Planmäßige Ankunft in Plovdiv: 08:01 Uhr…
Nachdem dieser Zug vorbeigefahren ist – die Wagen erinnern doch sehr an die deutsche Farbgebung – wurden wir auch mal richtig schnell. Mit 100 km/h fuhren wir gen Plovdiv. Und 100 km/h fühlt sich in diesen Zügen wirklich, wirklich schnell an…
9:37 Uhr
Nach etwa einer halben Stunde bremsten wir wieder sehr heftig. Fühlte sich dem Tram-Unfall nicht unähnlich an, aber ohne irgendwas zu treffen. Nach Sekunden stand der halbe Zug an den Fenstern – ich eingeschlossen. Der Grund für diesen Stop: ein rotes Signal hatte sich uns in den Weg gestellt. Der Zug war einfach zu schnell und ist daran vorbeigerollt. Aber die Bulgaren zeigen mal wieder ihre unglaubliche Art: Der Schaffner sprang aus dem Zug, lief zum letzten Wagon (war nicht so weit, gab ja insgesamt nur zwei) und der Lokführer fuhr den Zug rückwärts hinter das Signal. Jeder der sich ein klein wenig mit Regeln im Eisenbahnverkehr auskennt würde sich wundern: in Deutschland zum Beispiel ist es absolut verboten ohne besondere Genehmigung rückwärts zu fahren. Hier ists offensichtlich ein bisschen pragmatischer…
Der Bahnhofsvorsteher kam sehr schnell aus seinem Gebäude und begann mit dem Fahrer zu sprechen…
Achja: man kann das „rote“ signal sehen wenn man im oberen Bild etwas reinzoomt. Es ist aber wirklich schwer zu erkennen…
9:45 Uhr
Wir stehen noch immer in Скутаре/Skutare.
Zeit um ein paar Fotos zu machen.
In der Zwischenzeit musste der Fahrer in das Stationsgebäude, der Bahnhofsvorsteher kam ein paar mal zum Zug und ging wieder zurück und es wurden ein paar Zettel unterschrieben… Ich vermute mal der Lokführer musste sich rechtfertigen warum er am roten Signal vorbeigefahren war.
09:50 Uhr
Wir versuchen nochmal am Signal vorbeizufahren. Dieses Mal schimmert es leicht grün. Man kann es wieder auf obigem Bild erkennen, wenn man genug reinzoomt…
10:14 Uhr
Wir verlassen Plovdiv. Planmäßige Abfahrt war 8:16 Uhr. Verspätung: ungefähr 2 Stunden…
10:46 Uhr
Wir stehen mal wieder. Irgendwo in der Mitte von Nichts. Ich hab ein bisschen Zeit um spezielle Fotos zu machen:
…normalerweise sind die Schwellen nicht so schief.
Aber abgesehen davon ist es auch total ruhig – nur die Vögel singen.
Nach nur zehn Minuten gings weider. Es musste nur mal wieder ein anderer Zug aus Sofia vorbeigelassen werden…
10:55 Uhr
Noch eine typisch bulgarische Ansicht…
12:17 Uhr
Einmal mehr halten wir in einer Station, in der wir eigentlich nicht halten sollten…
12:32 Uhr
Noch ein anderes interessantes Detail: seit der Flügelung hat unser Zug die unglaubliche Anzahl von insgesamt vier Wagons:
Sieht wie ein nice-to-have Luxus aus: eine Lokomotive pro Wagon. Ich saß im einzigen Sitzwagon.
12:51 o’clock
13:06 Uhr
Ankunft in Sofia: planmäßig: 10:35 Uhr, Verspätung: 2,5 Stunden.
Jetzt nur noch eine Stunde mit Sofias öffentlichem Nahverkehr zu meinem Block. Ich bin aber echt froh, wieder zu Hause zu sein. :-)
Zusammenfassung
Etwa 26 Stunden nachdem ich also festgestellt habe, dass mein Reisepass weg ist, erreiche ich meine momentane Heimatstadt. Es war ein echt aufregender Trip – Tee mit türkischen Polizisten trinken, ein Straßenbahn-Unfall, ein spezieller Preis für den Schlafwagen und ein paar andere bulgarische Abenteuer….
Achja: meinen Pass habe ich gefunden. Er war in meinem Rucksack als ich ihn in Studentski Grad ausgepackt hab.
Vielleicht sollte ich nächstes Mal etwas genauer nachschauen – es ist so gut wie sicher, dass ich noch einmal nach Istanbul gehe. Dieses Mal dann mit dem Zug und mit einem Schlafwagen für die ganze Strecke….
Ich hoffe, der Eintrag hat Dir gefallen – ich freue mich wirklich über Feedback :-) (und: bitte geniert Euch nicht, die schlimme Anzahl der Fehler zu korrigieren – oder lest einfach drüber….)
Weitere Links:
Fahrplan des Nachtzugs Istanbul-Sofia
Alle Bilder der Reise (Bisher ohne Beschreibung)
GPS-Track der Reise – fängt erst in Dimitrovgrad an. Vorsicht: Wird lange laden! Herunterladen, entpacken und dann die .html-Datei mit Firefox öffnen. Ich empfehle explizit nicht, die Datei auf dem Server zu öffnen – aber das liegt an Dir…
hab lang nach nicht mehr so lang an einem bog gesessen. Hast du das alles protokolliert??
Hehe – naja, ich hab nicht alles protokolliert, habs aber rekonstruiert: Handy-Log, Twitter, Fahrplan und am Ende einfach der Zeitstempel der Fotos ;-)
Hallo Fips,
es war sehr interessant deine Geschichte um den verlorenen Reisepass zu lesen, wird es evtl. irgendwann verfilmt?
Gruß Jürgen
Freut mich, wenn es gefallen hat – es ist doch sehr lang geworden… ;-)
Ja, bestimmt – das Drehbuch ist ja schon quasi geschrieben :-D
Bis nächste Woche! – Fips